Das Cartell
Das Cartell

© Schneeweiß-Arnoldstein, 14. November 2002

CVer im Portrait (II): Engelbert Dollfuß

Engelbert Dollfuß, Dr., geb. am 4. Oktober 1892 in Texing/NÖ, Mitglied der meisten CV-Verbindungen (rec. 13. Juni 1910; Urphilister und bis zum seinem Tod Philistersenior der KdStV Franco-Bavaria zu Wien), Sekr. des NÖ. Bauernbundes, 1927 Direktor der NÖ. Landwirtschaftskammer, 1931 Minister für Land- und Forstwirtschaft, 1933 Verbot der NSDAP, der Kommunistischen Partei und des Schutzbundes, erstes Attentat auf ihn im Oktober 1933, 1934 Konkordat mit dem Heiligen Stuhl, am 25. Juli 1934 von Nationalsozialisten im Bundeskanzleramt ermordet.

Ein Portrait, das Cbr. Dr. Josef Klaus, vormaliger Bundeskanzler (ÖVP), für die von Cbr. Dr. Albert v. Pethö herausgegebene Zeitschrift „Die weiße Rose“ 1992 zum hundertsten Geburtstag von Cbr. Dr. Engelbert Dollfuß verfaßt hat.

„Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von Dem alles Recht ausgeht…“ Dies die ersten Worte der Österreichischen Ständestaatlichen Verfassung von 1934.

In ihrer berühmt gewordenen Rede vom 17. Juli 1979 zur Eröffnung des erstmals gewählten Europäischen Parlaments hat als Altpräsidentin die französische Publizistin und Politikerin Louise Weiss den denkwürdigen Satz gesprochen: „Ich rufe in Erinnerung die Ermordeten, die Opfer, die ich gekannt und geliebt habe, im Kampf für die Freiheit der Person und die Rechte der freien Völker: den Deutschen Walter Rathenau,… den Österreicher Engelbert Dollfuß…“.

Durch Europa, aber auch durch Österreich ging ein bewunderndes, manchmal auch verwundertes Aufhorchen. Von einer großen Europäerin und Französin durften wir bei einer so feierlichen historischen Gelegenheit diese glaubwürdige und mutige Ehrenrettung unseres Engelbert Dollfuß vernehmen! War es nicht auch höchste Zeit und hatte es hoffentlich auch seine verdiente Wirkung?

Scheinbar nicht; denn rund um das 50-Jahr-Gedenken an den Februar und Juli 1934 las man es in Österreich zumindest wieder ganz anders: vom Arbeitermörder und Verfassungsbrecher bis zum Diktator und Klerikofaschisten war da die Rede. Verschwiegen wurde dabei, daß es damals fast überall Versagen und Ablöse der parlamentarischen Demokratie gab, Diktaturen von Polen bis Portugal, an die Spitze getrieben im faschistischen Italien und im nationalsozialistischen Deutschland; daß in sozialdemokratischen Parteiprogrammen noch immer als Endziel die Diktatur des Proletariats herumgeisterte, daß ein seriöses Koalitionsangebot Seipels 1931 und eine Einladung Dollfuß' noch Anfang 1934, am Kampf für die Unabhängigkeit Österreichs mitzuwirken, von der Sozialde­mokratischen Partei abgelehnt worden war; daß es zu „Volksfront“-Regierungen in Frankreich und Spanien kam und dort obendrein zu einem Bürgerkrieg, der in seinem Ausmaß, seiner Dauer, seinen Zerstörungen und Opfern an Menschenleben zu den bürgerkriegsähnlichen Zuständen bei uns im Verhältnis von tausend zu eins stand — so bedauerlich und verabscheuungswürdig die Ereignisse im schicksalhaften „34er Jahr“ auch bei uns waren.

Verkannt und verschwiegen werden auch heute noch die innenpolitischen und wirtschaftlichen Krisensituationen, in denen sich damals die Österreichische Regierung befand, der von nirgendwoher Verständnis und Hilfe zukam, weder im Kampf gegen die furchtbare Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit, noch im Abwehrkampf gegen die Terroranschläge und offensichtlichen Aggressionsabsichten Hitlers — es sei denn von dem wortreichen, keineswegs uneigennützigen und letztlich unverläßlichen Mussolini.

Es gilt daher, das wahre Persönlichkeitsbild und die eigentliche Zielsetzung der Politik des Bundeskanzlers Dollfuß, in dem seine Gegner und Kritiker bis heute nur das Negative, seine Fehler und Irrtümer, seine kleinwüchsige Gestalt, die damals übliche Vorliebe für militantes Gehaben in Kleidung, Gestik und Sprache sehen wollen, freizulegen, die geistes- und zeitgeschichtlichen Grundlagen und Voraussetzungen seines politischen Denkens und Handelns herauszustellen und ihn in unserer Erinnerung so zu sehen, wie ihn Louise Weiss „gekannt und geliebt“ hat.

Das Europa der dreißiger Jahre bot — grob gesehen — ein recht diffuses Bild. Totalitären Diktaturen standen von schwachen Staatsmännern und ständig wechselnden Regierungen geführte Demokratien gegenüber. Der Völkerbund in Genf war zur Mimikry einer wahren Völkergemeinschaft herabgesunken. Die Ministerpräsidenten Chamberlain und Daladier ließen sich auch nach der Österreichischen Lektion von Hitler noch immer die Gewaltakte und Völkerrechtsbrüche gefallen und brachten von ihren demütigenden Verhandlungen in München und auf dem Obersalzberg die makabre Botschaft „peace now“ heim, womit sie sich selbst und ihre Völker täuschten, um so zu Vorläufern und abschreckenden Beispielen der „Friedensbewegungen“ der 70er und 80er Jahre zu werden.

Im Angesichte dieser gefährlichen außenpolitischen Szenerie und vor eine, seit 1918 zunehmende, innenpolitische Konfrontation gestellt, mußte Dollfuß versuchen, das Österreichische Dilemma der Ersten Republik zu überwinden. Dieses wurzelte in dem weithin fehlenden Glauben an die wirtschaftliche und politische Lebensfähigkeit des Landes, wozu noch das Ausbleiben jeglicher Hilfe seitens demokratischer Staaten gegen Hitlers Aggressionsabsichten kam.

Man muß Dollfuß daher zugestehen, daß er aus einem staatsexistentiellen Notstand heraus so handeln mußte — und wer handelt, macht notgedrungen Fehler. Neuwahlen und Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie hätten unweigerlich zufolge massivster Propaganda von außen und unbegrenzt rollender Mark einen Sieg der NSDAP und damit das Ende Österreichs gebracht. War also mit den Wegen und Mitteln der Demokratie in dieser Lage Österreich nicht zu retten, mußte ein anderer Weg gefunden werden.

Dollfuß neigte seit langem der in der Christlichen Soziallehre verankerten, berufsständischen Ordnung zu, die auch in der kurz zuvor erschienenen Enzyklika „Quadragesimo Anno“ empfohlen wurde.

Auf der Suche nach den Bauprinzipien und Ratgebern für die Errichtung des neuen Staates wandte sich Dollfuß nicht an die Vertreter des faschistischen Korporationenstaates, sondern neigte viel eher echten Demokraten wie Kunschak, Staud, Lugmayr, Ernst Karl Winter, Johannes Messner zu. Mit der Ausarbeitung des Entwurfs für eine Verfassung auf berufsständischer Grundlage beauftragte er den Vorarlberger Landeshauptmann Dr. Otto Ender, einen Demokraten und Föderalisten reinsten Wassers. Theodor Veiter schreibt in seinem aufschlußreichen Buch „Das 34er Jahr“: „Man mag über die autoritäre Ständestaatsverfassung sagen, was man will, sicher weiß jeder, der damals zu den Insidern gehörte, wie ich, daß Bundeskanzler Dr. Dollfuß ebenso wie Minister Dr. Ender vom besten und lautersten Willen beseelt waren, die Struktur Österreichs verfassungsrechtlich so neu zu formen, daß dieser Staat auf Christlicher wie auch auf demokratischer Grundlage Bestand haben konnte.“

Gottfried Karl Kindermann hat am klarsten und mutigsten Dollfuß' Opfertod in seinem Werk „Hitlers Niederlage in Österreich“ hervorgehoben.

Eva Nicoladoni-Dollfuß, die Tochter des ermordeten Kanzlers, schrieb 50 Jahre später: „Zur persönlichen Tragik meines Vaters gehört es, daß er nicht einmal, son­dern zweimal dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallen ist. Das erste Mal verlor er sein Leben… Das zweite Mal verlor er seinen Ruf, seine Ehre: Denn nach dem Krieg wurde seine Rolle im Kampf um Österreich verschwiegen… Denn die Nationalsozialisten, die Feinde, die ihn ermordet hatten, waren auch Wäh­ler. Und so wurde er geopfert, auch von seinen Freunden, für diesen recht bedenk­lichen Aspekt der Demokratie.“

Harte, bittere, aber nicht ganz unbe­gründete Worte. Viele alte und auch man­che unter unseren jungen Wählern waren über das betretene Schweigen rund um die Gestalt des Dr. Dollfuß nicht glücklich. Zwei Fragen stellen sich. Erstens: hätte man die „Ehemaligen“, wie es da und dort geschah, als Dollfußmörder brandmarken und ins linke Lager abdriften lassen sollen? Zweitens: gab es nicht unzählige Akte des Bekenntnisses und der Treue zu Dollfuß? Die Anbringung des Dollfußbildes im ÖVP-Klub neben Kunschak und Seipel hat bisher noch jede Parteiführung gegen unverfrorene Kritik von links mutig verteidigt. Bald nach der Wahl zum Salzburger Landeshauptmann veranlaßte ich die Wiederanbringung der Gedenktafeln, die in der NS-Zeit aus der Kapelle beim Hochtor an der Glocknerstraße entfernt worden waren, weil sie an die Erbauer der Straße, Franz Rehrl und Engelbert Dollfuß, erinnerten. Mitglieder des Aufsichtsrats beteten für die beiden ein Vaterunser, der sozialistische Landeshauptmann Wedenig nahm seinen Hut ab und faltete die Hände. Der Abgeordnete zum Niederösterreichischen Landtag, Laferl, brachte in der Dollfußkirche auf der Hohen Wand ebenfalls eine 1938 in Sicherheit genommene Gedenktafel wieder zum Vorschein.

Seit der Einweihung der pietätvollen Krypta 1964 nahm ich jedes Jahr als Bun­deskanzler und so oft es auch ging nach­her, an der Gedenkmesse teil. Seit der Renovierung der von Kaunitz errichteten Kapelle im Bundeskanzleramt feierte die Regierung mit den höchsten Beamten des Hauses alljährlich am 27. April und am 25. Juli Gedenkgottesdienste.

Dollfuß verdient diese Hochachtung voll und ganz. Ich schließe mich daher noch heute den Worten an, die ich anläßlich einer CV-Versammlung 1968 unse­rem großen Cartellbruder widmete: In einer außen- und innenpolitisch gefahrenumdrohten Zeit trat damals der Christlich­soziale Politiker Engelbert Dollfuß an die Spitze der Regierung. Er war ein Österrei­chischer Patriot mit makelloser demokra­tischer Vergangenheit, ein überzeugter Katholik und voll des besten Willens. Er ging den Weg der autoritären Regierungsweise nicht deshalb, weil er ein von Machtgelüsten besessener Diktator war, nicht weil er in seiner Person die Ideologie des Übermenschen verwirklichen wollte, sondern weil es seiner Meinung nach der einzige Weg war, Österreich aus dem unheilvollen Dilemma seiner politischen Desintegration und wirtschaftlichen De­pression herauszuführen und wieder zu einem geordneten und gesunden, selb­ständigen, vor jeder Erpressung geschützten Land zu machen.

 

 

ENGELBERT DOLLFUSS
Zum hundertsten Geburtstag des großen Bundeskanzlers
Josef Klaus

Der Autor, Dr. Josef Klaus, ist Zeitzeuge. In der Zwischenkriegszeit war er Katholischer Studentenführer; 1939—1945 in Kriegsdienst und Gefangenschaft; ab 1949 Landeshauptmann von Salzburg, dann Finanzminister, 1963— 1970 vierter Bundeskanzler der Zweiten Republik; Bundesparteiobmann der ÖVP; Mitglied des CV (Rudolfina).

Die Kurzbiographie ist der Zeitschrift „Die weiße Rose“, Nr. 3/1992, S. 2—4, entnommen.
In dieser Ausgabe finden sich zu diesem Thema noch folgende Beiträge:
„Die Braunen und die Roten
Klarstellungen und Hintergründe zum Bürgerkrieg von 1934“ von Cbr. Dr. Robert Rill
„Österreich im Abwehrkampf
Zur Zeit von 1933 bis 1938 — ein Interview“, letztes Interview von Cbr. Vizekanzler Dr. Fritz Bock vor dessen Tod
„Die Kälte des Februars
Der Putschversuch der Sozialdemokraten gegen die Regierung Dollfuß“
„Blutiger Juli
Der Putschversuch der Nationalsozialisten gegen die Regierung Dollfuß“
„Ausgewählte Zitate Johannes Messner über Engelbert Dollfuß“