Wiedergabe mit freundlicher cartellbrüderlicher Genehmigung von Dr. Albert Pethö, Baj, Herausgeber der Zeitschrift „DIE WEISSE ROSE“, zu beziehen über: „DIE WEISSE ROSE“, A-1060 Wien, Postfach 192, Telephon: Wien/596 41 75 oder kanzlei@die-weisse-rose.at
Grundlegende Blattlinie: „antisozialistisch, antiliberal, antimodernistisch“
© Schneeweiß-Arnoldstein, 2002
Zeitschrift „DIE WEISSE ROSE“, Innenpolitik 2002
„Der Unfall begleitet die technische Welt wie ein Schatten: er gehört zu ihrer Statistik und wird mit ihrer Perfektion fortschreiten.“ Dies schrieb, wie in vielem prophetisch, Ernst Jünger im Jahr 1972. Im Jahr 1986 geschah im ukrainischen Tschernobyl genau das, was nach häufig wiederholten und weltweit getätigten Aussagen der entsprechend engagierten Lobbyisten aus Technik und Wirtschaft nicht im entferntesten auch nur jemals denkbar gewesen wäre: ein Atomkraftwerk geriet außer Kontrolle. Seither steht der Name Tschernobyl als Menetekel für die Fragwürdigkeiten einer ungehemmten Entfaltung moderner Zivilisation: gewaltig ausufernde Städte, längst ohne Liebreiz und Geborgenheit, als ins Lebensfeindliche gewandelte Megalopolen; landwirtschaftliche Industrien, an die Stelle alter bäuerlicher Kultur gesetzt und deren letzte Reste austilgend; gigantische Verkehrsbauten, Monumente des Götzen „Mobilität“, als „Basistunnels“, Autobahnen, Flughäfen unsere Landschaften verunstaltend; und die Infrastrukturen einer üppig wuchernden Tourismuswirtschaft, die auch noch die letzten Alpentäler „erschließen“ und die Überbleibsel intakter Natur der geschäftlichen Ausbeutung zuführen – die Liste einschlägiger „Errungenschaften“ ist lang. Diese Liste ist zugleich ein Verzeichnis der Verluste, die uns der Fortschritt gebracht hat. Weder die Stadt, noch die landwirtschaftliche Maschine, noch der Verkehr oder die Straße oder der Tourismus sind schlecht an sich. Das falsche Maß in all diesen Angelegenheiten hat uns in Schwierigkeiten gebracht. Und die Geschichte des Fortschritts ist eine Geschichte seiner Maßlosigkeiten, die sich in „zu viel“ oder aber auch in „zu gefährlich“ ausdrückt. Es wird überdies mit falschem Gewicht gewogen; daher werden auch die Kosten, die die Allgemeinheit zu tragen hat, nicht berechnet. Und auf der Kostenseite des Fortschritts stehen selbstverständlich auch Tote: Beispielsweise die ohne weitere öffentliche Proteste einer gesteigerten Mobilität zugebilligten Menschenopfer im Autoverkehr. Oder die (derzeit noch geringe) Zahl vermutlich an „Rinderwahn“ Verstorbener. Oder aber, weit entfernt im „Anderswo“, auch die Opfer jenes „verunfallten“ Atomkraftwerkes im ukrainischen Tschernobyl. Durch ein unvorhergesehenes „technisch-experimentelles“ Herumhantieren an jenem denkwürdigen 26. April 1986 stieg die Temperatur in des Kraftwerks Reaktorblock IV dermaßen an, daß schließlich Explosionen hervorgerufen wurden, die den Metallmantel des Reaktors aufrissen. Radioaktitivität in einer Menge trat aus, wie es, wie man beim Roten Kreuz nachliest, etwa 100 Atombomben jenes Typs entsprach, den 1945 die Usa über Hiroshima abgeworfen hatten. Ein Gebiet von 150.000 Quadratkilometern wurde verseucht, fast doppelt so groß wie das heutige Österreich; Heimat von 7 Millionen Menschen. Rund 100.000 Menschen sind bisher an den Folgen des Atomunfalls gestorben, 3 Millionen leiden heute an Erkrankungen, die in Zusammenhang mit ihm stehen und haben massive Einschränkungen ihrer Lebensqualität hinzunehmen. 600.000 Männer waren bei den Lösch- und Aufräumungsarbeiten im Einsatz, dämmten das Feuer ein und errichteten jene Schutzhülle aus Beton, die bis heute das weitere Austreten von Radioaktivität einigermaßen verhindert. 50.000, zahlreiche davon Freiwillige, arbeiteten, unter höchster Gefahr für Gesundheit und Leben, direkt am Reaktor. Viele von ihnen sind heute bereits durch die dabei erlittene Verstrahlung tot. Ein Heldenepos in der Geschichte Rußlands. Rund 15 Jahre nach der Katastrophe zieht das Rote Kreuz eine verheerende Bilanz. 90.000 Menschen aus den verseuchten Gebieten werden pro Jahr untersucht; bei 77 Prozent aller Untersuchten wurden bislang krankhafte Veränderungen festgestellt; in einigen Gegenden hat sich das Auftreten bestimmter Formen von Krebserkrankungen verhundertfacht; vor allem Schilddrüsenkrebs greift um sich. Fast die Hälfte der Erkrankten war zur Zeit des Atomunfalls noch nicht geboren oder unter vier Jahren alt. Ihr Leben wird wohl früh zu Ende gehen. Millionen Menschen wurden umgesiedelt; 5 Prozent des Gesamtbudgets verwendet die Ukraine jährlich für die Eindämmung der Folgen dieser Katastrophe; der Bevölkerung ist dafür eine Sondersteuer von 12 Prozent ihres Einkommens aufgelastet; das Land bittet andauernd um internationale Hilfe. Alles Tropfen auf den heißen Stein. Vor allem Kinder sind betroffen; neben Leukämie und Lymphdrüsenkrebs (500 erkranken jährlich neu an Leukämie) sind sie vor allen anderen durch die permanente und andauernde Verstrahlung gefährdet, die das Immunsystem schwächt; so führt oft schon eine Grippe oder Kinderkrankheit zum Tod; Tuberkulose breitet sich aus. Das Rote Kreuz sammelt derzeit in Österreich für die Kosten der Medikamente und medizinischen Geräte, die benötigt werden, um die Lebenssituation der Kinder in den verseuchten Gebieten zu verbessern. (So kann um etwa 30,- Euro ein Kind der Region ein Jahr lang mit einem jodierten Vitaminpräparat versehen werden, das seine Abwehrkräfte stärkt und es vor Krankheiten schützt).
All das könnte auch für Mitteleuropa, speziell auch für Österreich, zu einer tragischen Wirklichkeit werden, sollte einer der den phantastischen Standards kommunistischer Wirtschaft und Technik entsprechenden Reaktoren unweit der Grenzen Österreichs, beispielsweise etwa der im südböhmischen Temelin, in entsprechender Weise einen „Unfall“ erleiden. Nach Auffassung, wie man hört, auch namhafter Fachleute, quer durch Mitteleuropa, ist die Unfallgefahr beim Reaktor in Temelin unakzeptabel hoch. Das hat der Anlage die wenig schmeichelhafte Bezeichnung „Schrottreaktor“ eingebracht. Temelin sei nicht das einzige Atomkraftwerk im östlichen Mitteleuropa wird gerne eingewendet. In der Tat. Alle Reaktoren im Bereich des ehemaligen Ostblocks und gar nicht so wenige davon in der Nähe Österreichs, scheinen gefährlich. Generell ist bekanntlich, zumal in Zeiten von Flugzeugabstürzen, Raketenangriffen und Attentaten aller Art, die Atomwirtschaft risikoreich. Daß zunehmend größere Teile der Bevölkerung Europas nach der „Erfahrung“ Tschernobyl dieses Risiko nicht mehr tragen möchten und den Ausstieg aus der Atomwirtschaft verlangen, ist sehr verständlich und kann im Kontext von Vorgefallenem und Möglichem auch nicht mehr unter „wirklichkeitsfremd“ und „irreale Ängste“ abgetan werden. Der Widerstand gegen Temelin ist wichtig geworden, weil er ein Schritt auf jenem Nachdenkprozeß ist, der uns vielleicht einmal aus jener Sackgasse wieder herausführt, in die uns der technisch-wirtschaftliche Fortschritt unter enormem Verschleiß an Humanität hineingeführt hat. Die (teilweise akzeptabel) regierende Volkspartei denkt aber leider weder in dieser noch in anderer Frage an effizienten Widerstand gegen die derzeitige Regierung in Prag. Insider meinen zu wissen, daß überhaupt der Widerstand der „ökosozialen“ Volkspartei gegen die europäischen Atomwirtschaftsinteressen, die hinter der Errichtung und dem Betrieb Temelins stehen sollen, sehr gering ist. Liberaler atombetriebener Raubbaukapitalismus auf unsere Kosten ist allerdings, das sollte sogar Bundeskanzler Schüssel und Wirtschaftsminister Bartenstein klar werden, kein Regierungsprogramm, das überzeugen wird. Ein Veto der Regierung in Wien gegen den Eu-Beitritt der Tschechen wäre zwar kein liebenswürdiger Akt aber vielleicht eine bewußtseinsbildende Maßnahme einer ebenfalls nicht liebenswürdigen benachbarten Regierung gegenüber.
Wie sehr nicht liebenswürdig, sei an weiteren Beispielen kurz in Erinnerung gerufen. Die tschechische republik will beispielsweise die der Kirche im Verlauf des 20. Jahrhunderts „abgenommenen“ Güter nicht restituieren. Von 3300 Gebäuden, die ihr in Böhmen und Mähren gehört haben, will die Kirche lediglich ein Viertel zurück, wobei der Ertrag aus den beanspruchten land- und forstwirtschaftlichen Gütern in die Erhaltung der kostbaren und denkmalschutzwürdigen Bausubstanz fließen würde, die derzeit kontinuierlich weiter verkommt. Enteignet (man sollte zum Zwecke größerer Klarheit vielleicht beraubt sagen) wurde die Kirche zunächst schon nach 1918 durch das Masaryk-Regime, sodann in ganz großem Stil und totalitär nach 1939 durch den National-Sozialismus und schließlich nochmals und bestätigend durch den Kommunismus ab 1945. Die Kirche als Institution, der gegenüber national-sozialistischer Raub nicht herausgegeben werden muß?
Noch drastischer als die Kirche hat es die Deutsch-Böhmische Volksgruppe getroffen. Von etwa Mai bis Oktober 1945 erlitt sie massenhafte Ermordungen, Vertreibung aus der Heimat und Enteignung. „Legalisiert“ wurde derlei durch die berüchtigten „Benesch-Dekrete“ von 1945 und 1946. (Eduard Benesch: nationaler und sozialistischer antiösterreichischer Politiker, 1918 einer der „Begründer“ der „Tschechoslowakei“, ihr Außenminister, Ministerpräsident und nach 1945 Staatspräsident, Kollaborateur des heraufziehenden Kommunismus). Nicht nur ein Nachgeben bei Temelin, auch eine Aufhebung der verbrecherischen Gesetze des Benesch gegen die Deutsch-Böhmische Volksgruppe sowie eine Entschädigung für den an ihr vollzogenen Massen- und Völkermord, stehen nicht auf dem Programm der Regierung in Prag. Und auch hier denkt Kanzler Schüssel nicht daran, eine Zustimmung zum Eu-Beitritts-Wunsch der tschechischen Regierung mit der Aufhebung der Verbrechergesetze von 1945 und 1946 zu verknüpfen. Das ist Schwäche und Hinnahme offenen Unrechts.
Wir mögen die Tschechen; sie sind eines der Brudervölker aus früheren und besseren Tagen; Böhmen ist Heimat. Der Sozialismus freilich hat in allen Völkern, die von ihm befallen wurden, die schlechten Eigenschaften gefördert. Und die „Tschechoslowakei“ war schon lange vor 1945, eigentlich schon mit ihrer „Gründung“ 1918, ein weit links regiertes Staatsgebilde. Temelin, Kirchenraub, verbrecherische Dekrete des Benesch, das liegt auf einer Linie – Brutal-Politik zwischen Anstandslosigkeit und Verbrechertum zur Durchsetzung eigennütziger Ziele. Und in zumindest zwei Fällen sind wir in Österreich wesentlich mitbetroffen (abgesehen davon, daß wir als Katholiken empört sein müssen, über die Verletzung der Rechte der Heiligen Kirche): mitbetroffen als jene, die das Risiko Temelin mit zu tragen haben (ohne irgendeinen Nutzen daraus zu ziehen); und mitbetroffen als jene, die zu den Zahlreichen zählen, die in den Verfolgungen ab 1945 zu Unrecht Heimat, Besitz und das Leben enger Verwandter und Freunde verloren haben (ohne je eine Entschädigung zu sehen).
Haider hat recht, einmal mehr: hier mit seiner harten Haltung gegenüber der derzeitigen tschechischen Politik. Und die Volkspartei belastet mit dem nur mäßig klugen Temelin-Brief des Bundeskanzlers (man gewinnt leider den Eindruck, daß Bundeskanzler Schüssel mitunter mehr die Interessen linker machtpolitischer Seilschaften zwischen Brüssel und Prag vertritt, als das angebracht wäre), einmal mehr, die gemeinsame Regierung durch törichte Provokationen des freiheitlichen Koalitionspartners. Wir erinnern uns an eine ganze Reihe solcher Provokationen: Da war der letzte Wahlkampf in Wien, bei der maßgebliche Vp-Regierungs-Politiker engagiert den Sozialisten Rückendeckung für ihre Sudel-Kampagne gegen die freiheitliche Konkurrenz gegeben haben. Wir erinnern uns an die Diskussion um die Abschaffung des überflüssigen Amtes des „Bundespräsidenten“, in welcher von Vp-Spitzenpolitikern plötzlich Klestil verteidigt und Haider angegrobt wurde. Wir erinnern uns der aus dem freiheitlichen Lager erhobenen berechtigten Forderung nach Einleitung der längst fälligen Steuersenkungen, der von Vp-Politikern aller Ränge öffentlich widersprochen wird. Und wir sehen den vom anscheinend unterbeschäftigten Verfassungsgerichtshof, dem hier nicht nur von der Linken sondern auch von der Volkspartei sekundiert wird, losgetretenen neuen Kärntner Ortstafelstreit, dessen Ziel uns klar in der Destabilisierung der Position Haiders in Kärnten zu liegen scheint. Das grundlegende Problem der Politik Schüssels ist trotz mancher ganz ausgezeichneter Ansätze ein weitreichendes welt-anschauliches und strategisches Defizit und, vornehm ausgedrückt, gravierende personal-politische Fehldisposition, vor allem die VP-Seite der Regierung betreffend. Schüssel wäre, ebenso in Betrachtung der nächsten Wahlen wie in Beobachtung der Interessen des Landes gut beraten, die Entente-cordial mit Haider rasch wiederherzustellen; gewissen Personen aus seinem Stab den Mund zu verbieten; die Steuern und Abgaben bald und drastisch zu senken; seinen Kurs in Bezug auf Temelin einer Totalrevision zu unterziehen.