Das Cartell

© Schneeweiß-Arnoldstein, 2001

„Manieren“

„Uhr her, schnell“

„Der österreichische Bundespräsident Thomas Klestil war vorigen Sonntag nach Saudi-Arabien gereist, um König Fahd einen Staatsbesuch abzustatten. Empfangen wurde er allerdings von Kronprinz Abdullah, der wegen der angegriffenen Gesundheit des Staatsoberhaupts derzeit die Regierungsgeschäfte führt.

Unerwartet kam der Dolmetscher arg ins Schwitzen. Denn der Mann aus Wien ließ ihm kaum Zeit, das Gehörte hin und her zu tragen. Aufgekratzt wiederholte Klestil immer wieder: ‚Abdullah, hearst, wos host'n do für a Uhr?‘ Allah sei Dank – der Dolmetscher erinnerte sich an die Wiener Mundart. Hatten nicht die Fiaker-Kutscher so geredet, die ihn während seines Studiums immer zum Proseminar ‚Österreichisch als Fremdsprache‘ gefahren hatten? ‚Seine Exzellenz der Bundespräsident fragen, was Eure Königliche Hoheit für eine Armbanduhr tragen‘, übersetzte er. Ganz korrekt. Worauf Abdullah mürrisch zu murmeln begann, Qatar, Cartier oder so was. ‚Wos koast'n de, wos wühst'n hoab'n fir dei Klunkerl‘, unterbrach ihn Klestil. ‚Zeig scho her, moachs halt ab‘, forderte er seinen Gastgeber auf und rieb nervös die Fingerspitzen aneinander. Abdullah fingerte am Kroko-Armband.

Eigentlich gelten Österreicher in Benimmfragen als gut geschult, besser jedenfalls als ihre nordischen Nachbarn. Sie wissen: Man fragt nicht nach dem Preis, niemals. Überhaupt gilt: Über Geld redet man nicht. Allenfalls mit dem Steuerberater. Klestil wird das wissen, und deshalb hat er wahrscheinlich auch nur nach der Zeit gefragt – auch das widerum ist keine gute Idee für einen Gast. Oder war in Wirklichkeit der Kronprinz der Unhöfliche? Wollte er mit dem Blick zur Uhr signalisieren, daß er nun gehört habe von den Problemen der österreichischen Verwaltungsreform?

wus.“

Quelle: ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung‘, 21. Oktober 2001