Das Cartell
Das Cartell
Gratwanderung auf einer Einbahnstraße

Bilanz einer 30jährigen Geschichte des Versuchs einer christlich-jüdischen Neubesinnung

Wiedergabe eines vielbeachteten Beitrags von Cbr. Prof. DDr. Robert Prantner in „Zur Zeit“, Nr. 7/1997, S. 3, der durch die Publikation von Ariel Toaff: „Pasque di sangue“ zu jüdischen Ritualmorden weiterhin gültig ist.

 

In einer vornehmen, von bestechender Sachlichkeit getragenen Analyse der „causa Holocaust Mahnmal“ hat Andreas Mölzer die tatsächlich scheinriskante „Gratwanderung“ in offenkundig mutigem Stil vollbracht. Der Verfasser dieser Überlegungen stand in den Jahren vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil an der Initiativfront einer christlich-jüdischen Kontaktnahme, die auch als Vorbereitung des späteren Konzilschemas mit „Nostra aetate“ gedacht war und  in der bayrischen Benediktinerabtei Niederalteich ebenso wie in Österreichs Bundeshauptstadt Wien ausgearbeitet wurde. Persönlichkeiten wie Kurt Schubert, Johann Österreicher, Otto Mauer und viele andere standen auf katholischer Seite.

Seit dieser Zeit sind knappe vier Jahrzehnte verflossen. Die Päpste Paul VI. und Johannes Paul II. ließen keinen entsprechenden Anlaß vorbeigehen, ohne sich namens der Weltkirche für die schweren Sünden des Versagens gegenüber den „Brüdern des Alten Gottesvolkes“, dem Volke Israel, zu entschuldigen: Theologisch und menschlich um Verzeihung zu bitten. Zum Heiligen Jahre 2000 hat der gegenwärtig regierende Papst, der im Juni 1998 zum dritten Male Österreich besuchen wird, zur „Reinigung des Gewissens“, zum Eingeständnis von Fehlern und Versagen aufgerufen. Fachkongresse und Expertenanalysen sollten und sollen auch künftig diesen Prozeß vorbereiten. Keine Pastoralreise Johannes Pauls II. ohne Gespräche mit den Würdenträgern der lokalen Synagoge und Kultusgemeinde. Tiefbewegende Besuche einschließlich der Teilnahme des Papstes an musikalisch so ergreifenden Weisen sakraler Riten wie etwa in der Großen Synagoge von Rom am Tiber.

Im Spätherbst dieses Jahres ein Kongreß im Vatikan mit 60 Experten über die „Wurzel des Antisemitismus im christlichen Bereich“. Das Thema wurde kirchlich, nicht politisch angelegt. Vorrangig waren katholische Theologen geladen, dazu einige protestantische und orthodoxe Experten, keine jüdischen Vertreter. Ein Umstand, der von der Israelitischen Kultusgemeinde Italiens durch deren Präsidentin Thullia Zevi beanstandet wurde. Der belgische Dominikaner, der an der Kurie des Heiligen Stuhles für die Beziehungen zum Judentum zuständig ist, sprach über das Ziel der Bemühungen: Es müsse „Schluß sein mit Antisemitismus, Rassenhaß, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die die Geschichte lange bestimmt haben und zu einer Atmosphäre beigetragen haben, in der der Holocaust möglich werden konnte“.

Dazu steht auch der Verfasser dieser Überlegungen, der in der täglichen Meßfeier an seiner Hochschule sein Gebet dem alten Gottesvolk regelmäßig zuwendet.

Unzählige Gespräche, nicht zuletzt mit dem jüngst verstorbenen jüdischen Religionswissenschafter Pinchas Lapide wie mit vielen anderen kompetenten jüdischen, vor allem auch israelischen Gesprächs­partnern in Jerusalem, haben in diesen Jahrzehnten jedoch tiefe Enttäuschung und persönliche Betroffenheit, ja Schmerz ausgelöst. Denn niemals schienen diese jüdischen Persönlichkeiten die Demut in ihrem eigenen Sinne und Gewissen zu mobilisieren, auch ein Wort, eine Geste, ein Zeichen des Bedauerns, der Reue, der Entschuldigung zu setzen: Angesichts der sogar blutigen Verbrechen jüdischer Vertreter (nicht „des Judentums“ an sich) an katholischen Christen. Es wäre eine Verfälschung der Geschichte, etwa bestimmte Ritualmorde zu mittelalterlicher Zeit dem phantasiebestimmten „Haß des Nationalsozialismus“ zuzuschreiben. Auch Verbrechen von jüdischen Menschen an Christen sind beklagenswerte Geschichte, an Kindern, wie etwa dem seligen Märtyrerkind Anderl von Rinn wie an erwachsenen Menschen zu vorösterlicher Zeit. Der Altbischof von Innsbruck, Dr. Stecher, war schlecht beraten, für die Liquidation der Verehrung des kleinen Märtyrerkindes eine goldene Ehrenmedaille der Innsbrucker Kultusgemeinde und/oder der jüdischen Loge B’nai B’rith just am Fronleichnahmsfeste der Katholischen Kirche entgegenzunehmen.

Der Verfasser dieser Gedanken hatte vor Jahrzehnten eine Einladung der Wiener B’nai B’rith–Loge auf Vermittlung seines jüdischen Freundes, Otto Herz, angenommen, dortselbst über christlich-jüdische Tangenten und über Versöhnung zu sprechen. Die freundliche und überaus höfliche Kälte, die dem Christentum dabei entgegengebracht wurde, erinnert ihn später an den Zynismus Pinchas Lapides gegenüber den zentralen Wahrheiten der christlichen Offenbarung, wie der Gottheit – zweite göttliche Person – des jüdischen Sohnes der Jüdin Maria, Jesus von Nazareth.

Ökumene, auch zwischen Juden und Christen, kann niemals eine Einbahnstraße ein. Auch das Blut gemordeter Christen, vergossen durch jüdische Hand, schreit zum Himmel! So erwartet man einen Kongreß der Weltjudenheit auf religiöser Grundlage, in dessen Verlauf das „Neue Gottesvolk“ – des „Neuen Testaments“, geboren aus dem Blute Jesu, am Kreuze durch den Hohen Rat der Judenheit vor knapp 2000 Jahren – um Verzeihung gebeten wird. Damit die Jahrtausendwende tatsächlich im Sinne des Heiligen Jahres 2000 die große Versöhnung bringe. Damit die Gratwanderung nicht mehr auf Einbahnstraßen vollzogen werden müsse. Und damit aus Gratwanderungen des hochzuschätzenden Erzbischofs Christoph Schönborn normale, breite, freundliche Wegstrecken im Sonnenlichte werden.

Wenn diese vollzogen sein wird, könnte man auch dem Vorstandsvorsitzenden der Bertelsmann Buch AG, Frank Wössner, zu der am 27. Oktober 1997 emfangenen „Goldmedaille für humanitäre Verdienste“ der B’nai-B’rith-Loge gratulieren: Für dessen Engagement zugunsten des geistigen Erbes des deutschen Judentums. Diese Glückwünsche bezögen sich dann auch auf die früheren Empfänger dieser Medaille wie Willy Brandt, Helmut Kohl, Richard von Weizsäcker, Franz Vranitzky und den Alterzbischof von  Wien, Franz Kardinal König.

Zuvor aber bittet der Verfasser dieser Zeilen lieber um die himmlische Fürsprache des von der römisch-katholischen Kirche seliggesprochenen Märtyrerkindes Anderl von Rinn am „Judenstein“, dem das gläubige Volk die Treue hält. Denn „mündige Christen“ müssen ihrem Bischof gegenüber nicht zu allem Ja und Amen sagen.